RobbiWeihnachtskalender     

16

 

Antje

 

 

Karin

 

 

Susanne

 Puppenzeit
 Einmal las ich in einem Kinderbuch von einem niedlichen Mädchen mit dicken blonden Zöpfen. Ich weiß ihren Namen nicht mehr, aber sie war immer ordentlich gekämmt und trug hübsche Kleider zu weißen Kniestrümpfen und schwarzen Lackschuhen. Dieses Mädchen hatte viele Puppen, und jedes Puppenkind hatte einen richtigen Namen. Morgens wurden sie gewaschen, angezogen und gefüttert, tagsüber spazieren geführt und abends wie richtige Kinder mit einem Gute Nacht- Kuss zu Bett gebracht. Ich schaute mir meine Puppen an und stellte fest, dass sie sich in einem erbärmlichen Zustand befanden. Von nun an sollte sich das ändern, beschloss ich. Ich setzte sie in einer Reihe auf mein Bett: Karin, Sybille, Antje und Susanne. Die Namen hatte ich mir gerade ausgedacht bis auf Antje. Die hieß schon immer so. Antje war meine älteste Puppe mit langen blonden Löckchen. Mutti hatte sie mir von ihrer Kur in Heiligendamm mitgebracht, als Trost für das lange Ohne- sie- Sein. Wenn man Antje nach vorn beugte und wieder zurück, dann kam ein kläglich dünnes "Mama" aus ihrem Bauch. Ich holte Kamm und Bürste: "Du hast Dich ja schon wieder nicht gekämmt, Sybille", stöhnte ich vorwurfsvoll. Aber ich wollte doch nicht schimpfen, fiel mir im gleichen Moment ein, sondern ganz lieb sein zu meinen Kindern, wie das blonde Mädchen mit den beneidenswerten dicken Zöpfen.
Meine mausgrauen Haare flogen dagegen in Fransen dünn und glatt um den Kopf herum. Schon so oft sollten sie ganz lang wachsen, doch spätestens, wenn sie sich seitlich zu teilen begannen, weil die Ohren hinter dem spärlichen Vorhang nicht genug Platz fanden, ließ ich sie abschneiden. Damit ich nicht immer aussah wie ein Bengel, versuchte meine Mutter es wieder und wieder mit einer Dauerwelle, die mich jedes Mal noch mehr verunstaltete, wie ich fand. Immer war ich ganz unglücklich und hätte doch so gerne dicke lange Zöpfe oder wenigstens einen frech wippenden Pferdeschwanz gehabt. Nicht die kleinste Locke wand sich an meinem Kopf.
Also kämmte ich die schwarzhaarige Sybille mit dem glatten Pagenschnitt ganz sanft und holte den Waschlappen, damit auch Karin, deren Haarpracht auf dem Zelluloidkopf nur aufgemalt war, ansehnlicher würde. Die etwas klein geratene Susanne war ganz nackt. Deshalb steckte ich sie erst mal ins Bett. Sie war eben krank. Ich strich ihr mit den Fingerspitzen über die schmale Stirn und fühlte: "Oh ja, Fieber. Ganz heiß bist du. Bleib schön zugedeckt. Gleich hole ich dir das Steckspiel mit den bunten Perlen. Möchtest du Sauerkirschkompott oder lieber Apfelmus?"
Antje hatte die schönsten Anziehsachen. Sie durfte erst mal bleiben wie sie war. Für die anderen wollte ich alle Puppensachen zusammensuchen, die ich auftreiben konnte. Mein einziger Schrank war ungefähr einen Meter hoch und sechzig Zentimeter breit und blaugrau gestrichen. Darin purzelte alles durcheinander: Bücher, Autos, Plastikpuppengeschirr, Holzbausteine und Teile vom Stabilbaukasten, ein Löffel, ein angebissenes und vertrocknetes Brötchen, Angelsehne und Haken, eine winzige Nuckelflasche mit dem verklebten Rest von bunten Liebesperlen, mein Taschenmesser und Staub in Hülle und Fülle. Dazwischen fand ich Röckchen, Kleidchen, Jäckchen, Höschen - verknuckelt und verknorkelt.
Wie war das bei der Puppenmutti aus dem Buch? Da hatte alles seinen Platz, war blitzsauber. Die Kleidchen hingen in einem Extraschrank auf kleinen Bügeln. Die Kinder trugen Schlafanzüge zum Schlafen. Jedes lag in einem Bettchen mit weichen Kissen und rüschenbesetzten Deckchen.
In meinem einzigen Puppenbett lagen unangespitzte, lange und kurze Buntstifte, zerknautschte Papierblätter mit meinen verunglückten Malversuchen und Dinas Hundeleine. Die Kissen fand ich unterm Bett. Natürlich hatte Dina die dorthin geschleppt. Dina machte überhaupt nur Unordnung mit ihrer Boxerschnauze. Das hatte Mutti auch schon gesagt. Unterm Bett lag aber auch mein Xylophon. Mein geliebtes Xylophon. Das hatte ich ja lange nicht mehr gesehen. Also pustete und wischte ich den Staub ab. Ich könnte meinen Kindern ja erst mal ein Lied vorspielen. Vielleicht das "von Herrn Pastor sin Kau"? Wenn ich nur das Hämmerchen finden könnte.
Ich rutschte auf dem Boden herum und hob alle Gegenstände an, die da verstreut herumlagen. Kein Hämmerchen. Ich robbte noch einmal unters Bett. Da fand ich meine Angel. Als ich sie unterm Bett hervorzog, schleifte ich am Angelhaken meinen Hausschlüssel zutage. Er hing an einer Kordel, die ich mir selbst mühsam mit der Strickliesel aus verschiedenfarbigem Kartengarn angefertigt hatte. Daran trug ich ihn um den Hals, wenn Mutti zur Arbeit war. Mein Schlüssel war also wieder da. Ich streifte die bunte Schlinge über meinen Kopf. Der Schlüssel baumelte mir vor der Brust herum, wie gewohnt. Dina hatte ihn also verschleppt, dachte ich, und ich glaubte, ich hätte ihn verloren. Böse Dina. Ich hatte wieder die Schimpfe eingesteckt. Wo steckt sie eigentlich? "Diiiina! Hier kommst du her!" befahl ich ärgerlich und streng. Dina lag irgendwo im Wohnzimmer herum und scherte sich nicht um mich. Also lief ich zu ihr und rüttelte an ihr herum. Dina erhob sich gähnend, die Vorderfüße weit nach vorn und ihr Hinterteil mit dem Schwanzstummel steil nach oben schiebend, so dass ihr rehbrauner Rücken mit dem glänzenden Fell eine ideale Rutschbahn ergab. Noch bevor ich rittlings auf ihr zu sitzen kam, hatte sie sich wieder erhoben, und ich wurde jäh abgeschüttelt. Dina rannte zur Wohnungstür und schaute mich mit ihren großen runden Augen bettelnd an. Mein Zorn war verflogen: Die Leine. Lag sie nicht im Puppenbett??
Da saßen noch immer Karin, Sybille, Antje und Susanne. Hatte das niedliche Mädchen mit den dicken blonden Zöpfen eigentlich auch einen Hund?
 

 

 

Sybille

 

 

Dina