Antje
Karin
Susanne
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Puppenzeit
Einmal las ich in einem Kinderbuch von einem niedlichen Mädchen
mit dicken blonden Zöpfen. Ich weiß ihren Namen nicht mehr, aber
sie war immer ordentlich gekämmt und trug hübsche Kleider zu
weißen Kniestrümpfen und schwarzen Lackschuhen. Dieses Mädchen
hatte viele Puppen, und jedes Puppenkind hatte einen richtigen
Namen. Morgens wurden sie gewaschen, angezogen und gefüttert,
tagsüber spazieren geführt und abends wie richtige Kinder mit
einem Gute Nacht- Kuss zu Bett gebracht. Ich schaute mir meine
Puppen an und stellte fest, dass sie sich in einem
erbärmlichen Zustand befanden. Von nun an sollte sich das
ändern, beschloss ich. Ich setzte sie in einer Reihe auf mein
Bett: Karin, Sybille, Antje und Susanne. Die Namen hatte ich mir
gerade ausgedacht bis auf Antje. Die hieß schon immer so. Antje
war meine älteste Puppe mit langen blonden Löckchen. Mutti hatte
sie mir von ihrer Kur in Heiligendamm mitgebracht, als Trost für
das lange Ohne- sie- Sein. Wenn man Antje nach vorn beugte und
wieder zurück, dann kam ein kläglich dünnes "Mama" aus ihrem
Bauch. Ich holte Kamm und Bürste: "Du hast Dich ja schon wieder
nicht gekämmt, Sybille", stöhnte ich vorwurfsvoll. Aber ich
wollte doch nicht schimpfen, fiel mir im gleichen Moment ein,
sondern ganz lieb sein zu meinen Kindern, wie das blonde Mädchen
mit den beneidenswerten dicken Zöpfen.
Meine mausgrauen Haare flogen dagegen in Fransen dünn und glatt
um den Kopf herum. Schon so oft sollten sie ganz lang wachsen,
doch spätestens, wenn sie sich seitlich zu teilen begannen, weil
die Ohren hinter dem spärlichen Vorhang nicht genug Platz
fanden, ließ ich sie abschneiden. Damit ich nicht immer aussah
wie ein Bengel, versuchte meine Mutter es wieder und wieder mit
einer Dauerwelle, die mich jedes Mal noch mehr verunstaltete,
wie ich fand. Immer war ich ganz unglücklich und hätte doch so
gerne dicke lange Zöpfe oder wenigstens einen frech wippenden
Pferdeschwanz gehabt. Nicht die kleinste Locke wand sich an
meinem Kopf.
Also kämmte ich die schwarzhaarige Sybille mit dem glatten
Pagenschnitt ganz sanft und holte den Waschlappen, damit auch
Karin, deren Haarpracht auf dem Zelluloidkopf nur aufgemalt war,
ansehnlicher würde. Die etwas klein geratene Susanne war ganz
nackt. Deshalb steckte ich sie erst mal ins Bett. Sie war eben
krank. Ich strich ihr mit den Fingerspitzen über die schmale
Stirn und fühlte: "Oh ja, Fieber. Ganz heiß bist du. Bleib schön
zugedeckt. Gleich hole ich dir das Steckspiel mit den bunten
Perlen. Möchtest du Sauerkirschkompott oder lieber Apfelmus?"
Antje hatte die schönsten Anziehsachen. Sie durfte erst mal
bleiben wie sie war. Für die anderen wollte ich alle
Puppensachen zusammensuchen, die ich auftreiben konnte. Mein
einziger Schrank war ungefähr einen Meter hoch und sechzig
Zentimeter breit und blaugrau gestrichen. Darin purzelte alles
durcheinander: Bücher, Autos, Plastikpuppengeschirr,
Holzbausteine und Teile vom Stabilbaukasten, ein Löffel, ein
angebissenes und vertrocknetes Brötchen, Angelsehne und Haken,
eine winzige Nuckelflasche mit dem verklebten Rest von bunten
Liebesperlen, mein Taschenmesser und Staub in Hülle und Fülle.
Dazwischen fand ich Röckchen, Kleidchen, Jäckchen, Höschen -
verknuckelt und verknorkelt.
Wie war das bei der Puppenmutti aus dem Buch? Da hatte alles
seinen Platz, war blitzsauber. Die Kleidchen hingen in einem
Extraschrank auf kleinen Bügeln. Die Kinder trugen Schlafanzüge
zum Schlafen. Jedes lag in einem Bettchen mit weichen Kissen und
rüschenbesetzten Deckchen.
In meinem einzigen Puppenbett lagen unangespitzte, lange und
kurze Buntstifte, zerknautschte Papierblätter mit meinen
verunglückten Malversuchen und Dinas Hundeleine. Die Kissen fand
ich unterm Bett. Natürlich hatte Dina die dorthin geschleppt.
Dina machte überhaupt nur Unordnung mit ihrer Boxerschnauze. Das
hatte Mutti auch schon gesagt. Unterm Bett lag aber auch mein
Xylophon. Mein geliebtes Xylophon. Das hatte ich ja lange nicht
mehr gesehen. Also pustete und wischte ich den Staub ab. Ich
könnte meinen Kindern ja erst mal ein Lied vorspielen.
Vielleicht das "von Herrn Pastor sin Kau"? Wenn ich nur das
Hämmerchen finden könnte.
Ich rutschte auf dem Boden herum und hob alle Gegenstände an,
die da verstreut herumlagen. Kein Hämmerchen. Ich robbte noch
einmal unters Bett. Da fand ich meine Angel. Als ich sie unterm
Bett hervorzog, schleifte ich am Angelhaken meinen Hausschlüssel
zutage. Er hing an einer Kordel, die ich mir selbst mühsam mit
der Strickliesel aus verschiedenfarbigem Kartengarn angefertigt
hatte. Daran trug ich ihn um den Hals, wenn Mutti zur Arbeit
war. Mein Schlüssel war also wieder da. Ich streifte die bunte
Schlinge über meinen Kopf. Der Schlüssel baumelte mir vor der
Brust herum, wie gewohnt. Dina hatte ihn also verschleppt,
dachte ich, und ich glaubte, ich hätte ihn verloren. Böse Dina.
Ich hatte wieder die Schimpfe eingesteckt. Wo steckt sie
eigentlich? "Diiiina! Hier kommst du her!" befahl ich ärgerlich
und streng. Dina lag irgendwo im Wohnzimmer herum und scherte
sich nicht um mich. Also lief ich zu ihr und rüttelte an ihr
herum. Dina erhob sich gähnend, die Vorderfüße weit nach vorn
und ihr Hinterteil mit dem Schwanzstummel steil nach oben
schiebend, so dass ihr rehbrauner Rücken mit dem glänzenden Fell
eine ideale Rutschbahn ergab. Noch bevor ich rittlings auf ihr
zu sitzen kam, hatte sie sich wieder erhoben, und ich wurde jäh
abgeschüttelt. Dina rannte zur Wohnungstür und schaute mich mit
ihren großen runden Augen bettelnd an. Mein Zorn war verflogen:
Die Leine. Lag sie nicht im Puppenbett??
Da saßen noch immer Karin, Sybille, Antje und Susanne. Hatte das
niedliche Mädchen mit den dicken blonden Zöpfen eigentlich auch
einen Hund?
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Sybille
Dina
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